Beata und die verpasste Pilgerreise
“Unter allen klösterlichen Verbindungen behauptete in Alemannien den ersten Rang die Celle des h. Gallus, wo dessen Zöglinge unter einem von ihnen selbst gewählten Vorsteher oder Abt (abbas, Vater) die Lebensweise des verehrten Meisters nachahmten durch Beten, Chordienst, Unterricht, Lesen und Handarbeit. Nicht nur das gemeine Volk, sondern auch die Angesehnsten im Lande wanderten nach der h. Stätte, brachten den Mönchen Geschenke und machten zu Ehren des h. Gallus dem Kloster Vergabungen, die in Lebensmitteln und Ländereien bestanden. Dessen ungeachtet hatte das Kloster, das bei den Einfällen kriegerischer Horden nicht verschont blieb, noch häufig mit Mangel zu kämpfen, bis unter dem vortrefflichen Abte Othmar, welcher der Celle des h. Gallus von 720 bis 760 vorstand, die Schenkungen sich auf eine solche Weise mehrten, dass die Klostergebäude zur Aufnahme einer grössern Anzahl Brüder erweitert und ein Spital eingerichtet werden konnte.
Unter den Begüterten im alemannischen Lande waren Rachinbert (Reckinbert) und seine Gemahlin Ata (Atta, Hata, Atana), deren Besitzungen hauptsächlich zwischen dem Tössthale und dem oberen Zürichsee lagen. Ihre Tochter Beata, (Peita, Bertha), Gemahlin eines gewissen Landoalt (Landold), verschenkte vom Kloster Benken aus am 19. November 741 der Kirche der h. Maria, des h. Petrus, Martin, Leudagarius, der h. Petronella und der übrigen Heiligen auf der kleinen Insel (Lützelau) bei Ufenau im Zürichsee Güter und Leibeigene zu (Mönch-) Altorf, Zell, Riedikon, Utznach, Schmerikon, Nänikon, Dattikon, Kempraten, Bäretswil und auf der Lützelau. Rachinbert war gestorben. Ata hatte sich als Klausnerin auf die Lützelau zurückgezogen, auf welchem mit Gras und etwas Baumwachs besetzten Eiland am Fusse des Etzel schon in sehr früher Zeit eine christliche Niederlassung gewesen sein muss.
Ihr Vermögen hatte sie der Tochter Beata überlassen. Noch zu Lebzeiten ihres Gemahls und mit dessen Bestimmung beschloss diese, einen Theil ihres von ihren Eltern ererbten und ihrem Gemahl gehörenden Grundeigenthums zu ihrem und ihrer Eltern Seelenheil dem Kloster St. Gallen, d. h. dem Abt Othmar zu übergeben.[1] Das Vermächtniss sollte bestehen in dem Kloster Lützelau, neben der Ufenau gelegen, ferner in ihren Besitzungen zu Kempraten, Utznach, Altorf, Riedikon am Greifensee, Schmärikon, Nänikon, zu Dettikofen bei Oberhofen im Thurgau. Dazu sollte alles gehören, was auf den genannten Grundstücken sich befand: Häuser, Hütten, Gebäude, Knechte und Mägde, Leibeigene, Vieh, Ställe, Geflügelhöfe, angebautes und unbebautes Land, Wege etc.
Die Schenkung all dieser im Thurgau in der Gegend, welche Zürichgau genannt wird, gelegenen Güter sollte aber nur unter gewissen Bedingungen stattfinden.
Erstlich verlangt Beata, welche sich gleich vielen ihrer Zeitgenossinnen entschlossen hatte, eine Reise nach Rom zu machen, eine volle Ausstattung für diese Fahrt,
nämlich 70 Goldschillinge, fünf mit Sätteln, Decken u.s.w. wohlausgerüstete und geschirrte Pferde nebst mehreren Saumthieren;
ferner stellt sie die Forderung, dass ihr das Kloster, im Fall sie glücklich zurückkehre, all die genannten Besitzungen bis zu ihrem Tode lehensweise wieder abtrete.
Dieser Vertrag wurde am 9. November 744 im Kloster Benken, in Gegenwart des thurgauischen Grafen Bebo, des Abtes von Reichenau, Arnefried und 2 anderer Zeugen, geschlossen und von beiden Theilen unterzeichnet, scheint indessen nur wenige Tage nachher wieder rückgängig geworden zu sein. Es ist ungewiss, ob das Kloster St. Gallen denselben nicht annehmbar fand, oder ob Beata, die durch irgend ein Ereigniss, vielleicht den Tod ihres Gemahls, in der Ausführung ihres Reisevorhabens gehindert worden war, den selben wieder aufhob. Am wahrscheinlichsten ist, dass St. Gallen die kostspielige Vergabung mit dem etwas stossenden Preise nicht annahm und darum die projektirte Reise nicht zu Stande kam.
Auch scheint unter der Zeit ihr Mann gestorben zu sein. So zog die Geberin, statt nach Rom, in die stille Einsamkeit zu ihrer Mutter auf die Insel. Denn einer andern Urkunde zufolge wohnt sie schon am 19. November 744 mit ihrer Mutter Ata und einigen Mitschwestern nebst vier Zinsleuten und drei Leibeigenen in klösterlichem Verbande auf der Lützelau, und übergibt nun einen Theil dessen, was sie früher dem Kloster St. Gallen zugedacht hatte, dem Kloster Lützelau, d.h. der mütterlichen Stiftung, unbedingt. Es betraf diese Schenkung 2/3 ihrer Besitzungen in den oben genannten Ortschaften (zu denen noch Zell kam) nebst den Leibeigenen, von denen 7 sich auf der Lützelau befanden.
Damit dem Kloster Lützelau durch den Verkauf kein Nachtheil erwachsen könnte, warf sie das Alles aus in einer besonderen Urkunde, was sie demselben von ihrem Vermögen zugedacht hatte, nämlich ihre Güter und Waldungen zu Altorf, Zell an der Töss und Riedikon; die Hälfte der Güter, welche sie zu Utznach, Schmerikon, Nänikon, Dettikon besass. Unter den zu Kempraten wohnenden Leibeigenen schenkt sie einem Kinde die Freiheit; alle andern aber, 64 an der Zahl, von denen 8 zu Utznach, 2 zu Kempraten und einer, Namens Contleuba, zu Bäretswil wohnten, sollen zu ihrer Mutter und ihrer Anverwandten oder Mitschwestern, Otunlis und Zon, Seelenheit des Klosters Eigenthum werden. Dieses Schenken von Gütern, Häusern und ganzen Orten setzt eine durchgängige Bekehrung der Bevölkerung zum Christenthum voraus; die Knechte waren mit Körper und Seele dem Kloster vergabt. Wir können also annehmen, dass ums Jahr 700 unsere Gemeinde schon christlich war. Auch diese Urkunde wurde neben Beata vom thurgauischen Grafen Bebo, dem Abt Arnefried und zwei andern Zeugen, die bei der Abfassung im Kloster Benken zugegen waren, unterzeichnet. Beata scheint indessen doch dem Kloster St. Gallen Vergabungen gemacht zu haben, da dasselbe im folgenden Jahrhundert auf Güter zu Altorf etc, die ihm von Piatana (Beata) und der Walafried geschenkt worden seien, Ansprüche macht und die Richtigkeit derselben durch die Aussagen einer Menge Zeugen bestätigt.
Landoalds und Beatas geschieht ausser diesen Urkunden sonst nirgends Erwähnung. Die Verehrung aber, die sie für das Kloster St. Gallen hegten, scheint sich auf ihre Nachkommen vererbt zu haben. Den 10. September 745 schenkt nämlich Lantbert, ihr Sohn, mit Beistimmung seines Oheims Herigär (Heorgaer) dem Abte von St. Gallen zu seinem und seiner Eltern Seelenheil alle seine Besitzungen … (inkl. Grundstücke von) … Bäretswil.”
Julius Studer, Chronik (S. 20ff, siehe Literatur unten)
Literatur
1 - Julius Studer: Die Geschichte der Kirchgemeinde Bäretswil. Zürich 1870, Alemannische Adlige schenken Güter von Bäretswil ans Kloster St. Gallen S.20ff
2 - Neue Zürcher Zeitung. 05.06.2009, Die Sonderstellung der St. Galler Fladenmannli
Einzelnachweise
[1]Anm.: Ein wesentlicher Grund für Schenkungen war der Schutz, den das Kloster vor den Karolingern bot, die sich in der Gegend immer stärker ausbreiteten. Wie real diese Gefahr war zeigt das «Blutgericht zu Cannstatt» 746, bei dem die ganze alemannische Führungsschicht ausgelöscht wurde.. vgl. Wiki, Abruf 30.12.2023, Fürstabtei St. Gallen