Barbara, die Feinweberin

«Barbara» ist ein Buch von Otto Kunz (1887-1952)[1], das er 1942 erstmals publizierte. Es beschreibt über 3 Generationen hinweg das Leben der in Bäretswil aufgewachsenen Fabrikarbeiterin Barbara in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Niemand hat so schön gewoben wie Barbara und niemand konnte die Fehler, die «Nester», so gut beheben wie sie. So fein wie ihr Gewebe war auch ihr Leben – als Sängerin, als Ehegattin und als Mutter.[2]

Die drei Schicksalsgöttinen und der Lebensfaden

Eine der eindrücklichsten Szenen beim Freilichtspektakel 2017 «Spinnen im Neuthal » war die Performance der 3 Nornen oder Moiren im Garten des Industrie-Ensembles: Klotho, die den Lebensfaden spinnt, Lachesis, die ihn verwebt und Atropos, die ihn schlussendlich unausweichlich abschneidet.

Die drei Nornen spinnen die Lebensfäden. Szene aus «Spinnen im Neuthal», 2017
Die drei Nornen spinnen die Lebensfäden. Szene aus «Spinnen im Neuthal», 2017

Barbara war ihres eignen Glückes Schmied, mehr als ihr Mann, der Schmied von Beruf. Wie alle vor und nach ihr konnte sie ihr Lebensschicksal nicht auslesen. Mit ihrer Fröhlichkeit und Zuversicht hat sie ihre Familie durch Leid und Entbehrungen hindurch gerettet, bis sie schliesslich das Schicksal so hart traf, dass sie daran zerbrach, dass der Faden abrupt riss.

80 Jahre Barbara und 700 Jahre Dante

Nun, im September 2021, ist es 80 Jahre her, dass Otto Kunz seine Barbara geschrieben hat und 700 Jahre seit dem Tod von Dante Alighieri, dem Dichter der Divina Comedia.

Zufall?

OTTO Kunz (*1887), mit 2 Ringen und Spiegelsymmetrie im eigenen Vornamen, spielt gerne mit dieser Zahlensymbolik. Und Barbara zerbricht daran. 78 und 87 sind ihre Schicksalszahlen, 2 mal 78 und 2 mal 87 stehen auf den Gräbern ihrer Liebsten. Die Sieben, die heilige Zahl, das ist die Anzahl Kinder, die sie grossgezogen hat. Und die 8, die beiden verketteten Eheringe, das ist ihr Symbol für ihre schicksalshafte und liebende Verbindung mit ihrem Mann.

In der Divina Comedia beschreibt Dante Paradies, Fegfeuer und Hölle. Über dem Höllentor steht geschrieben:

Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate!
Lasst alle Hoffnung fahrn, die ihr eintretet!

Wenn jede Hoffnung gestorben ist – es ist das Ende der Feinweberin Barbara, die mit ihrer Stimme und ihrer Liebe ihre Familie und ihre Nächsten ein Leben lang aufzubauen und aufzuheitern suchte. Zu hart schlug das Schicksal zu.

Änneli von Gotthelf und Barbara von Kunz

Deckblatt des Buches "Barbara" von Otto Kunz

Änneli und Barbara sind Frauenfiguren aus dem 19. Jahrhundert und wohl beide in den Augen ihrer Autoren als Ideal zu betrachten. «Geld und Geist» wurde 1843, «Barbara» 1942 publiziert.

Änneli aus «Geld und Geist» von Jeremias Gotthelf (1797–1854) ist die Bäuerin aus der 1. Hälfte, Barbara von Otto Kunz (1887-1952) die Fabrikarbeiterin aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhundert. Beide Frauen sind die Seele der Familie und retten diese durch ihre Opferbereitschaft und ihren Kampf um ein gutes Leben durch die Nöte. Nur ihr Ende unterscheidet sich dramatisch. Dem Änneli, so wie sie der Pfarrer Albert Bitzius beschreibt, ist es vergönnt, versöhnt mit Gott und der Welt friedvoll ihre Augen zu schliessen. Aber Barbara, die Selbstbestimmte, die keine Vermittlung durch die Kirche braucht, schreitet erschlagen aber aufrecht aus eigener Kraft in den Tod. Niemand kann es verstehen – es ist «ein zu weites Feld». (vgl. Otto Kunz und Barbara)

P. Bischofberger, 7.9.2021

Einzelnachweise

[1]Rudolf Roth (Hrsg.): Otto Kunz. Genossenschaftsdruckerei Biel 1953, Otto Kunz, 1887–1952
[2]Otto Kunz: Barbara, die Feinweberin. Eine Lebensgeschichte aus dem Zürcher Oberland. Genossenschafts-Buchhandlung, Winterthur 1944, Digitalisat

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