Als der Alemanne Petto mit seinen Leuten den Hof am Fuss des Allenberg gründet, heisst der Ort wohl Petineswilare. 1346 wird der Flecken Betswile genannt. Da Ringwil bereits 837 eine Kirche besitzt, so können wir davon ausgehen, dass auch die Höfe Wappenswil und Bettswil um 800 oder früher entstanden sind. Das von der Sonne verwöhnte Bettswil liegt eingebettet zwischen Stüssel und Allenberg am Bettswilerbach und am Rand eines ausgedehnten Riedes. 1346 gehört ein Teil des Hofs dem Kloster Rüti. Das Klostergut wird 1425 bewirtschaftet von Heinrich Gretler, einige Jahre später von einem Brunner.
Die Verbindung mit Rüti mag ein Grund dafür sein, dass die dem Kloster verbundene Familie Graf ab der Bäretswiler Gupf den Bettswiler Hof noch im 15. Jahrhundert übernimmt. Das Urbar der Pfarrpfrund von 1541 meldet in seinem Verzeichnis drei Häuser. Diese stehen am Bettswilerbach (Maiwinkelstrasse 42) sowie an der Maiwinkelstrasse ( 31 und 34 ). Die drei Bauern heissen «Thoma, Jacob und Welti, die Schueleren zu Bettschwyl». Die Bezeichnung «Schueler» (Lehrer) haftet schon 1470 am Familiennamen Graf. Im Lauf des 16. Jahrhunderts entwickelt sich Bettswil zum Graf-Dörfchen mit vier bis fünf Häusern.
In den 1540er Jahren expandiert ein Teil der Bettswiler Graf in den Maiwinkel und übernimmt auch das Land gegen die spätere Eichschür. Das kirchliche Zehntenbuch von 1548 berichtet, Hans Graf der Jüngere, gebe als Zehnten einen Viertel Kernen ab der Wässeri.
Anders als die übrigen Höfe und Dörfer der Gemeinde entrichtet Bettswil seinen Zehnten nicht der Pfarrpfrund (d. h. den Hochlandenbergern), sondern direkt der Kirche Bäretswil. 1536 und 1709 werden zur Sicherung des Zehnten die Zehntenmarchen eigens festgeschrieben. Am 1. Oktober 1709 wird die Bettswiler Hofgrenze abgeschritten und genau notiert. Zu diesem Zeremoniell sind mit dabei: Der Landvogt von Grüningen J. J. Wolf, der Greifenberger Gerichtsherr und Kirchherr (Collator) Junker Johann Meiss, Pfarrer Erhard Schmid, Landschreiber Kambli (Grüningen), der Bäretswiler Untervogt Jakob Brunner, Kirchengutsverwalter Caspar Bosshart, Stillständer Hs. Jakob Spörri und Sigrist Hans Bosshart. Ein vierseitiges Protokoll von Kambli hält die Grenzen fest:
Die Bettswiler Hofgrenze verläuft von der Lehmgrube am Obisbach bei Vorderbettswil hinauf zur Liegenschaft Bettswilerstrasse 38, dann der Zelgstrasse entlang bis zum heutigen Hof Fenner. Dann durch die «Gass» beim Hof Sierszyn die alte Allenbergstrasse hinauf bis zur Tungen am Allenberghang (Weil sich an der alten Allenbergstrasse die Zelgfluren der Bettswiler und von Bäretswil berühren, ist der Weg hier zu beiden Seiten gesäumt von einem Holz-Zaun). Die Hofgrenze zieht sich dann oberhalb der Bäretswiler Zelg schräg hinauf über das Tungenweidbächli bis zum Grafenbuck (900) unweit des heutigen Steins «Mittelpunkt der Gemeinde Bäretswil». Von dort über den hinteren Jakobsberg und wiederum zur Vorderen Tannenweid, von dort weiter über die Eggenmüli zur Matt am Wissenbach, schliesslich hinauf zur «Jungfrau» (wo ein Marchstein steht) und von dort – entlang dem Hof Fehrenwaltsberg – in südlicher Richtung zum Schürlibach, in den Obis und auf den Schmärböhl. Von dort wieder hinunter zur Lehmgrube beim Töbeli.
Der Hof Bettswil in seinen Grenzen von 1536 und 1709. 1536 wurde zwischen der Pfarrpfrund und der Kirche vereinbart, dass der Hof Bettswil samt Allenberg und Rellsten seinen Zehnten der Kirche zu entrichten habe. Die Grenzen des alten Zehntenhofs sind nicht ganz identisch mit der späteren Schulgenossenschaft, zu der auch die Zelg, das Ried, Wirzwil (und zeitweise die Lusteren) gerechnet werden. Im Hof Bettswil wird erstmals 1731 Schule gehalten. Die Hausväter bauen 1823 ein erstes Schulhäuschen, 1859 wird es ersetzt durch das Primarschulhaus, welches Zimmermann Wild ab dem Allenberg im Auftrag der Schulgenossenschaft im Akkord für Fr 10’000.- erstellt.
In den eineinhalb Generationen von 1590 bis zur Pest im Sommer 1629 erscheinen in den Pfarrbüchern 29 Familien aus Bettswil, schwergewichtig nach 1600. 17 von ihnen – die Angestammten – tragen dem Namen Graf. Da sich wohl nicht alle immer im Dörfchen aufhalten, kann für die Zeit am Vorabend der Pest im Durchschnitt mit 15-17 Familien oder ca. 80-90 Personen gerechnet werden. Weil neun der Familienväter Hans Graf heissen, hilft sich die Dorfgemeinschaft mit Zunamen, die auch offiziell notiert werden:
- Hans Graf-Egli, der Jüngere, zugenannt Spörri
- Hans Graf-Hess, der Schuhmacher
- Hans Graf-Furrer, zugenannt Ginggi, Conrads sel. Sohn
- Hans Graf-Peter, zugenannt Güsel (Täufer-Familie)
- Hans Graf-Heusser, genannt Spörri
- Hans Graf-Zuppinger, Hermannen
- Hans Graf-Knäppli, Jakoben
- Hans Graf, der Jüngere
- Hans Graf-Berger
Ab 1607 kommen neue Familien ins Dörfchen: Pfenninger, Senn, Zuppinger, Kündig, Müller, Egolf, Aeberli, Kägi, Meyer und Spörri. Diese Dynamik zeugt von einer demografischen und wirtschaftlichen Dynamik vor allem ab 1600. Schon in dieser frühen Zeit noch vor der Pest leben längst nicht mehr alle nur von der Landwirtschaft. Heinrich Graf ist des Pfarrers «Dienstknecht», Thomas Zuppinger arbeitet als Senn, Hans Graf-Hess ist Schuhmacher. Vor allem aber wird in Bettswil offenbar von vielen vermehrt Garn gesponnen. Schon 1585 ist für die Gemeinden Bäretswil und Fischenthal ein Garngrempler unterwegs, der die Ware nach Wil und Rapperswil verkauft. Dem Aufschwung der Bevölkerung entspricht die Zahl der Häuser: 1541: drei, 1590: vier, 1615: sechs Häuser. Bis zur Pest (1629) können es acht Häuser sein.
Dasselbe Bild zeigt sich auf dem Allenberg. 1419 wird dort oben Hermann Stössel, der Alte, genannt. Ums Jahr 1540 kommt es zu einem Wechsel. Die Stössel, auch Allenberger genannt, ziehen ins obere Wirzental. Auf dem Allenberg sitzt fortan Jacob Kunz mit seiner Familie, die sich nach 1600 ebenfalls deutlich vergrössert. Neu hinzu kommen zwei externe Familien, so dass der Allenberg am Vorabend der Pest um die 25-30 Seelen zählen mag.
Die Pest schlägt zu
In dieses blühende Leben der 1620er Jahre schlägt die Pest auch in Bettswil und auf dem Allenberg schwerste Wunden. Angesteckt durch den Biss eines Ratten-Flohs oder von Mensch zu Mensch, entstehen am Hals, in den Achselhöhlen und an den Leisten überaus schmerzhafte Lymphdrüsen-Beulen. Als Folge innerer Blutungen färben sich die Schwellungen bläulich-schwarz. Die Erreger geraten in die Blutbahn. Mit hohem Fieber bis hin zu Bewusstseinstrübungen erliegen die Menschen nach drei bis fünf Tagen einem septischen Schock.
Fünf Jahre nach dem Schwarzen Tod leben im Dörfchen gerade noch 15 Personen aus der Zeit zuvor. Sieben Erwachsene und acht Kinder überlebten die Plage, unter ihnen Hans Senn und seine Frau Anna Gubler, Hs. Jakob Graf und Anna Reif mit ihrem Kleinkind Anna, Witwe Elsbeth Graf-Peter mit vier halbwüchsigen Kindern sowie Witwe Stutz mit dem Knaben Jörg sowie Witwe Regula Graf mit Tochter Anna. Keiner der vielen Hans Graf überlebt. Die 18-jährige Barbel Pfenninger, die als Einzige ihrer Familie der Seuche entgeht, heiratet umgehend Heinrich Wild aus dem Gossauer Hanfgarten, den Knecht des Bärenwirts, damit der Hof nicht völlig verwaist. Aus dem Waltsberg eilt die ebenfalls dezimierte Familie von Hans und Anna Pfenninger zu Hilfe. Damit sind in Bettswil von Juni bis August 1629 rund 5/6 oder mehr als 80% der Bevölkerung ein Raub der Pandemie geworden.
Auf dem Allenberg bleiben von den 25-30 Personen lediglich Witwer Heinrich Kunz und Witwe Barbel Kägi zurück. Der Schwarze Tod holt hier mehr als 90% der Bewohner auf den Friedhof. Hoffnung keimt erst wieder, als Kunz und Anna Ottiker aus Kempten zehn Jahre später der Knabe Jörg geboren wird. Wir fragen uns heute, wie die heimgesuchte Pestgeneration aus so viel Leid und Zerstörung den Anschluss an die Zukunft wieder gefunden hat.
Es ist die Zeit des Dreissigjährigen Krieges mit all seinem Elend in ganz Europa. Eigenartigerweise entstanden in dieser Ära der Trübsale die tiefsten Glaubenslieder, etwa von Paul Gerhardt. Seine berühmten Lieder sind geboren aus tiefster Lebensnot. Sie zeigen uns die Quelle der Kraft. Im Aufblick zum gekreuzigten Christus und im Hören auf die Bibel wurde den Menschen gewiss: Die Erde ist trotz allem nicht verdammt. Auch der Liederdichter Paul Gerhardt verliert seine halbe Familie. In Leid und Schmerz schreibt er das Lied:
«Warum sollt ich mich denn grämen?
Paul Gerhardt
Hab ich doch Christum noch, wer will mir den nehmen?
Wer will mir den Himmel rauben,
den mir schon Gottes Sohn beigelegt im Glauben?
Schickt er mir ein Kreuz zu tragen,
dringt herein
Angst und Pein,
sollt ich drum verzagen?
Der es schickt, der wird es wenden;
er weiss wohl,
wie er soll
all mein Unglück enden».
Neue Türen tun sich auf
Etwa 15 Jahre nach der Pest zeichnet sich ab, welche Familien in Bettswil für die folgenden 200 Jahre die Akzente setzen werden:
1. Die Stutz. Ihr Stammvater Jörg (*1620), als Halbwaise wie ein Scheit aus dem Feuer gerettet, wird zum Haupt einer grossen Nachkommenschaft. Sein Wohnhaus an der heutigen Maiwinkelstrasse 42 wird ab 1690 zum Familienflarz. Als hier der Platz für die Sippe nicht mehr reicht, bauen die Stutz um 1740/50 auf ihre Zelg in Mittelbettswil zwei Wohnhäuser. 1838 errichtet ein weiterer Spross das spätere Wirtshaus «Pilatusblick», dazu den kleinen Hof auf der oberen Halde sowie das Häuschen «Im schönen Wiesengrunde».
2. Die Knecht. 1641 heiratet Marx Knecht aus dem Betzholz die 17-jährige Anna Graf, eine Überlebende aus der Pestzeit. Hier verläuft die Brücke der Generationenfolge über die einzig verbliebene Tochter der Familie Hs. Jakob Graf-Reif. Wohnhaus und Scheune der jungen Familie stehen an der Abzweigung des Obissträsschens, heute Maiwinkelstrasse 34. Der ehemalige Hof der Schueler Graf umfasst etwa 70 ha Landwirtschaftsland samt 17 ha Wald und Streue vom Schürlibach bis hinauf gegen den Berghof und bis zur Matt am Weissenbach. Als ab 1730 der «industrielle» Verdienst am Spinnrad steigt und die mühsame Feldarbeit mehr und mehr verachtet wird, vermag Familie Knecht diesen Trend zu widerstehen. Mit ihren starken Söhnen bleibt die kapitalkräftige und fromme Familie betont bei der Landwirtschaft; nur wenige Spinnräder bringen der Familie im Winter einen Zusatzverdienst. 1760/70 gründet sie in den Grenzen ihres grossen Hofes zwei zusätzliche Höfe, nämlich ein kleineres Gehöft mit Doppelwohnhaus im Dörfchen auf der Kuppe (heute Beck Meier) und einen grösseren Hof in der Matt unterhalb der Strasse.
3. Die Wild von Vorderbettswil. Heinrich Wild vom Hanfgarten und Barbel Pfenninger von Bettswil begründen eine tüchtige Sippe. Auch hier bildet die junge Frau eine schmale Generationen-Brücke, weil der Rest der Familie der Seuche zum Opfer gefallen ist. Während zehn Jahren bringen die beiden den ehemaligen Pfenningerhof wieder auf Vordermann. Dann ziehen sie hinunter ins Dorf auf den Bären. Ihr Ältester, Rudolf Wild, wird angesehener Bauer, Vorsinger, Sigrist und Totengräber. Drei weitere Söhne besiedeln (als Erste?) ab 1665 das Vorderbettswil (Bettswilerstrasse 38 und Allenbergstrasse 1) und begründen die spätere Zimmermann-Dynastie
Wild auf dem Allenberg.
4. Die Graf. Der verbleibende Wohnplatz dieses alten Bettswiler Geschlechts nach der Pest ist das Flarz-Haus an der Maiwinkelstrasse 31. Ihre Güter erstrecken sich in südöstliche Richtung zum Brüschböhl und Obis. Als um 1750 die textile Manufaktur läuft wie geschmiert und viele glauben, in dieser «Industrie» liege die Zukunft auch von Bettswil, stösst die Familie 100 Jucharten (über 30 ha) an eine zugezogene Mieter-Familie ab. Kurz vor 1800 erbaut Johann Wolfensberger für seinen Sohn Hs. Kaspar das stattliche Haus nebenan und begründet den späteren Hof der Familie Amacher. Heute bewirtet Landwirt Roger Schärer-Amacher auf der Stockrüti grosse Teile des einstigen Grafen-Hofs. Bauern-Familien kommen und gehen – Fluren und Felder bleiben.
Bettswil wird Industrielandschaft
Die Flachs- und Hanfspinnerei hat im Oberland eine lange Tradition, die ins Mittelalter zurückreicht und vielleicht vom Kloster St. Gallen einst gefördert wurde. Etwa ab 1730/40 wird auch Bettswil in das Verlagswesen des städtischen Baumwollgewerbes einbezogen. Das Spinnrad erobert die Bauernstuben. Es beginnt die Zeit der sogenannten textilen Proto-Industrie. Die Heimindustrie überflügelt die Landwirtschaft. Das einträgliche Garn-Spinnen im offenen Kreis schafft zudem eine neue Mentalität neben der traditionellen bäuerlichen Kultur. Das sprudelnde Geld lässt die Menschen feiern und heiraten. Die Bevölkerung wächst. Die Höfe werden geteilt. Es beginnt die Symbiose von Spinnrad und Kleinlandwirtschaft. Diese dient nur noch zur Selbstversorgung. Jakob Stutz aus Isikon berichtet später über die Zeit der Handweberei: «Da wollten die Leute lieber beim Webstuhl sitzen als auf dem Felde schwitzen. Viele sagten, sie nähmen den grössten Bauernhof nicht geschenkt … Jetzt könne ein mittelmässiger Galliweber wöchentlich 5-6 Gulden verdienen, könne dabei im Trockenen sitzen, während der Güterarbeiter in Wind und Wetter sein müsse und nichts davontrage». Landlose Spinner gibt es in Bettswil noch keine. Die Mehrheit der Kleinbauern besitzt 1-2 Kühe. Besonders in der Blütezeit während der 1750/60er Jahre steigert sich das Selbstbewusstsein der Heimarbeiter. 1787 arbeiten in der Schulwacht bei 188 Einwohnern 103 Personen an 77 Spinnrädern. Zwei Garnträger sorgen für den Transport der Fabrikation; in der ganzen Gemeinde gibt es deren zehn. Gerade noch sieben Bauern und zwei Handwerker sind anderweitig beschäftigt. «Hauptamtliche» Bauernhöfe gibt es noch in Hinter-Bettswil, in der Matt und im Rellsten. Von 1730 bis 1770 verdoppelt sich die Bevölkerung der Gemeinde auf 2’700 Seelen (Bettswil 188). Bis 1836 – Höhepunkt und Wende der Handweberei – steigt die Bettswiler Seelenzahl auf 307 (Wappenswil: 515, Tanne: 555).
Neue Häuser auf weiter Flur – Beginn der Streusiedlung
Als der vierteilige Flarz der Familie Stutz das beinah explosive Wachstum der Sippe nicht mehr zu fassen vermag, stellt die neue Generation 1740/50 zwei Doppelhäuser mitten auf ihr wertvolles Zelgland in Mittelbettswil sowie etwas später ein Wirtshaus («Pilatusblick») auf den Haldenacher oberhalb der Strasse. Die neue Möglichkeit bodenunabhängiger Existenz lässt den Sinn für die Bedeutung der bislang unantastbaren Ackerfluren schmelzen.
Eine progressive Strategie verfolgt Familie Graf (Maiwinkelstrasse 31). Sie verkaufen 1750 100 Jucharten Land im Brüschböhl und Obis an ihre zugezogenen Mieter nebenan und setzen auf das einträglichere Textilgewerbe. Ein Spross der Familie Graf erbaut südlich des Obis-Strässchens ein zweites Kleinbauernhaus (heute Maiwinkelstrasse 30/32). Hier zieht 1771 aus Kleinbäretswil der legendäre «Schulmeister Heinerich Bachmann» ein, dessen Name vielen Bettswilern noch bis ins 20. Jahrhundert in Erinnerung bleibt.
Ganz besonders in Vorderbettswil, das seit 1665 nur zwei Häuser sieht, werden die Fluren von 1753 bis 1864 in freier Bauweise mit einem runden Dutzend neuer Kleinbauernhäuser übersät. Noch gibt es kein Baugesetz. Das alte Bauverbot auf dem fruchtbaren Zelgland weicht dem erwachenden Geist der aggressiven Moderne. Diese Epoche ist die prägende Zeit für das typische Streusiedlungsgebiet in unserer Gemeinde. Die Heimindustrie verändert also nicht nur die Zahl der Bevölkerung, sie prägt auch das Bild der besiedelten Landschaft neu. Die neuen Kleinbauernhäuser sind auf die Verbindung von textilem Handwerk und Landwirtschaft ausgerichtet. Die VielzweckHäuser bestehen aus einer meist südlich ausgerichteten Stube mit Reihenfenstern, einer Küche, ein bis zwei Kammern sowie Tenn, Scheune und Stall, alles unter einem Dach. Anders als im Flarz gibt es hier für Grossfamilien keinen Platz. Zugleich ist es der Haustyp für die Zukunft, denn die Jahre nach 1840 bringen vermehrt eine Umstellung auf Gras- und Viehwirtschaft.
Am 22.4.1821 brennt auf der Oberen Zelg ein neu erbautes Kleinbauernhaus ab; es wird noch im selben Jahr durch zwei neue Häuser ersetzt (Allenbergstrasse 2+4). Nur neun Jahre später, in der Nacht vom 8./9. April 1832, werden im Zentrum von Vorderbettswil vier Häuser ein Raub der Flammen. Die trockenen Holzhäuser mit ihren Schindeldächern brennen wie Zunder. Noch im gleichen Jahr werden durch die brandgeschädigten Familien Rudolf Brunner / Johannes Graf, Heinrich Bohli, Johannes Küenzli und Heinrich Brunner die vier noch heute stehenden Häuser im Stil der Zeit neu aufgebaut (Bettswilerstrasse 38/40; 34/36; 32; 31).
Auch der Allenberg setzt in dieser Zeit ganz auf Kleinbauernhäuser und Textilindustrie. 1787 finden hier 54 Personen ihre Hauptbeschäftigung an 28 Baumwoll-Spinnrädern. Neben Familie Kunz wohnen längst auch die Hürlimann und Wild auf dem Berg. – Auf dem Allenberg blühen bis heute auf verschiedenen geschützten Hangrieden seltene Pflanzen und Blumen wie diverse Enziane und Knabenkräuter.
Die Veränderungen der Lebensweise durch die textile Heimindustrie in Tagesrhythmus und Kultur sind im Bäretswiler Heimatbuch[1] beschrieben.
Im Hungerjahr 1817 werden vom 20. März bis zum 15. Juli in Bettswil für die Bevölkerung der Schulwachten Wappenswil, Bettswil und Berg 15’289 Portionen Hungersuppe ausgeschenkt, das sind 130 Portionen während 117 Tagen.
Auch beim Brand von Uster am 22. November 1832 steht die Bettswiler Schulwacht im Zentrum, weil Felix Egli ab dem Rellsten als «Haupturheber» des Fabrikbrandes zu 24 Jahren Ketten abgeurteilt wird. Auch Kaspar Spörri, genannt Wissenruedeli, «Güterarbeiter» und Vater von vier Kindern ab einem Kleinbauernhaus auf der Oberen Zelg wird als «Gehülfe ersten Grades» zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.
Schrittweise Umstellung zur Milchwirtschaft
Ab etwa 1840 geht im Zug der Jahrzehnte die Heimindustrie zwar langsam, aber sicher ihrem Niedergang entgegen. Da und dort, zum Beispiel bei der Familie Fenner in Vorderbettswil, wird ab 1880 noch Seide gewoben. Mutter Anna Fenner-Zuppinger (1852-1916) betreibt dieses Metier noch über die Jahrhundertwende hinaus. Ihr Mann Heinrich bringt mit seiner Schusterei und zwei Kühen die achtköpfige Familie einigermassen über die Runden. 1899 muss die dreizehnjährige Tochter Hulda (Grossmutter des Schreibenden) als Putztuchweberin in der Stöck – Fabrikgesetz hin oder her – ein Zubrot für die Familie einbringen. Andere Töchter der Schulwacht tun es ihr gleich. Schuster und Kleinbauer Fenner hat Glück, dass sein Hausnachbar kinderlos ist und er dessen Land und Scheune übernehmen kann. Auch der Brand der Bäckerei in Mittelbettswil im Jahr 1911 kommt der Familie zugute, weil sie auf der Gant deren schöne Rotholzwiese erwerben kann. Damit findet Ernst Fenner (1893-1981) mit seiner Familie den Anschluss an das wieder durch Milchwirtschaft geprägte 20. Jahrhundert. 26 Milchbauern grösseren und kleineren Formats von der Unteren Zelg bis zum Hinteren Allenberg tragen 1950 in der Tanse ihren weissen Saft zur Käserei nach Hinter-Bettswil. Hier trifft man sich und erfährt Tag für Tag die neuesten Nachrichten.
Die Käserei Schneider in Bettswil hat bis heute als einzige in der Gemeinde überlebt und verarbeitet im Jahr 2010 etwa 3’000 Liter Milch pro Tag. Der allgemeine Rückgang der Bevölkerung unserer Gegend ab 1840 trifft Bettswil weniger stark als etwa die Schulwachten Tanne oder Wappenswil. Dennoch schwindet die Zahl der Seelen auch hier von 321 im Jahr 1880 auf 169 im Jahr 1941 (minus 47,4%); bis im Jahr 2000 steigt sie wieder auf 200.
Vom Kommen und Gehen der Familien
Wer die heutigen Familiennamen von Bettswil Revue-passieren lässt, stellt unschwer fest, dass die ganz alten Namen heute fehlen. Graf, Pfenninger, Stutz, Wild, Künzli, Bohli oder Knecht, welche über lange Zeit hier aktiv waren, sind verschwunden. Daran erkennen wir, wie hinfällig auch grosse und starke Geschlechter sind. Bei allem Interesse für das Bodenständige und Heimatliche wollen wir nicht übersehen, dass der Wert unserer Namen erst dann gültig gegeben ist, wenn sie «im Himmel angeschrieben sind». «Alles ist eitel, DU aber bleibst und wen du ins Buch des Lebens schreibst», singen wir in einem Kanon. Erst in dieser Beleuchtung gewinnen unsere lieb gewordenen Historien und Traditionen ihre angemessene Bedeutung.
Die heute ältesten Geschlechter der ehemaligen Schulgenossenschaft Bettswil sind hier seit ca. 1760/70:
- Walder, zugezogen von Ottenhausen
- Brunner, zugezogen aus der Gemeinde Hinwil (bis 2021)
- Fenner, zugezogen vom Mistlibüel, Gemeinde Hütten, vorher in Küsnacht
Da und dort lebt eine Familie während Generationen im selben Haus über die weibliche Linie, so zum Beispiel im Rellsten oder in Mittelbettswil:
- Egli -> Senn -> Schoch
- Brunner -> Moos -> Fehr
Noch ins 19. Jahrhundert hinab reichen die Namen:
- Amacher
- Meier (Wirzwil)
- Meier (Bäckerei)
- Hubmann (Allenberg, bis 2021)
- Spörri -> Moos (Allenberg)
- Fischer (Holenstein -> Hinterbettswil -> Zelg)
Einige Familien schliesslich sind seit +/- 100 Jahren in Bettswil:
- Bamert -> Sierszyn
- Brunner (Allenberg)
- Steffen
- Mittelholzer
Die Bäckerei Meier in Bettswil
Noch hat Bettswil in seinem Dörfchen einen Kindergarten (bis 2022), eine Wirtschaft, eine Käserei und eine Bäckerei samt Tante-Emma-Laden. Diese Institutionen vermitteln dem Dörfli eine gewisse Autarkie und Bedeutung. Sie heben es ab von einer zufälligen Häusergruppe. Peter Schneider produziert in Bettswil seit zwei Generationen Winzerkäse im Weltformat (Goldmedaillen). Die Bäckerei Meier kreiert ihre Backwaren auf der Hügelkuppe in vierter Generation seit 1891. Theo II. und Theo III. glänzten beide mit Bestnoten, ebenso verschiedene Lehrlinge der Firma.
Heute lassen sich 14 Generationen der Bäckersfamilie überblicken. In den 1560er Jahren erscheint im Hof bei Neuthal ein Gebhard Meyer, «Marxen sel. Sohn». Diese Meyer-Sippe wird erstmals aufgeführt in einem Brief vom 18. Februar 1379 in Bliggenswil. 1832 zieht Blattmacher Hans Konrad Meyer aus dem Hof ins untere Rüeggenthal. Doch 1871 trifft die Familie ein schweres Unglück. Der 34-jährige Gottfried Meyer, Sohn des Blattmachers, wird bei Waldarbeiten im Rüteli von einem fallenden Baum erschlagen. Sein damals siebenjähriger Bub heisst ebenfalls Gottfried. In den frühen Methodisten-Versammlungen im Hause Egli zu Rüetswil um 1883/84 wird der Jüngling entschiedener Christ und seine spätere Familie eine Säule der Bäretswiler Methodistenkirche. Der fromme Hafner Heinrich Knecht aus dem Zelgli flüstert dem jungen Meier zu: «Wenn du irgendwo eine gute Bäckerei kaufen kannst, so will ich dir gerne dabei helfen».
Nach den üblichen Lehrjahren und einer Pacht in Elgg gelingt es Gottfried Meier 1891, von Bäcker und Wirt Kaspar Bachmann in Bettswil eine Bäckerei samt Wohnhaus, Wirtschaft, Magazin, Scheune und etwas Land zu erwerben. Weder Gottfried Meier noch seine junge Frau Karline Kunz aus dem Riet bei Gibswil sind indes zum Wirten geboren. Zumal es damals in Bettswil noch drei weitere Wirtshäuser gibt – bei Walders, in der Bäckerei zu Mittelbettswil und auf dem Allenberg – ist die Schliessung ihrer Gaststätte für das Dörfchen kein Verlust.
Meiers Geschäftsschwerpunkt ist von Anfang an die Bäckerei. »Süsses», auch «Chröli», später Guetzli genannt, gilt damals eher noch als Luxus und wird nur auf Bestellung fabriziert. Die halbmondförmigen, rosaroten Zuckerchröli sind relativ weich und werden daher meistens von älteren Leuten mit schlechten Zähnen bestellt. Hingegen verkauft Beck Meier schon bald die feinen Milchbrote, die im währschaften Holzofen bestens gedeihen und die bis heute zur Marke Meier gehören.
Gottfried Meiers Einstand darf man sich nicht zu einfach vorstellen. Die Konkurrenz ist gross. Nicht weniger als elf weitere Bäckereien suchen in der Gemeinde ihre Kundschaft: In Mittelbettswil, in Wappenswil Beck Pfenninger vom «Frohsinn», in Hinterburg Beck Peter, im Neuthal Beck Girsberger, in Adetswil die Bäckereien im «Löwen», im «Freieck» und im «Froberg», im Kirchdorf Beck Egli/später Kofel, Beck Pfenninger/später Keller an der Bahnhofstrasse, schliesslich die Bäckereien auf der «Linde» und im «Freihof». Einzig die Schulwacht Berg ist ohne Bäckerei. Weil damals die meisten Bäcker ihr Brot den Leuten ins Haus bringen, ergeben sich auch für Beck Meier Brottouren quer durch die Gemeinde. Der Allenberg wird zunächst per «Krätze» beliefert, später holen die Bauern ihr Brot selbst mit der leeren Milchtanse. Bis Ende der 1960er Jahre beliefert die Bäckerei ihre Kundschaft mit Ross und Wagen, seit den 70ern motorisiert. Auch der Spital Wetzikon bezieht seine Backwaren seit längerem aus Bettswil.
1960 wird der gute alte Holzofen (Baujahr 1898) durch einen modernen Elektro-Ofen ersetzt. Für einen rechten Schuss benötigt der Holzofen am Morgen in der Früh gut und gerne drei Chris-Burdenen. Die erste und grösste Bodenhitze ist für die feinen Wähen bestimmt, die Theodor I. (1898-1982) jeweils mit besonderem Geschick aus dem Ofen zaubert: Frische Apfelwähen, Aprikosenwähen, Chriesiwähen, Rhabarber-Wähen, Santehanse-Beeri-Wähen und andere mehr liegen jeweils auf dem Gestell hinter der Ladentür und erfüllten den ganzen Laden mit ihrem feinen Duft. Nach den Wähen ist das Brot an der Reihe. Die meisten Familien wünschen lange Zeit Drei- oder Vierpfünder. In den 1950er Jahren muss der Ofen an Wochenenden vier- bis fünfmal geheizt werden.
Mit dem neuen elektrischen Ofen erweitert Theo II. (1930-2010) durch seine mundende Patisserie den Kundenkreis über die Grenzen der Gemeinde hinaus. Unvergessen ist seine Dörfli-Torte oder die bis heute begehrte Schwarzwälder-Torte Marke «Beck Meier».
Unter dem vielseitig begabten Meister Theo III. wird das Brot- und Gebäcksortiment stark erweitert. Auch Glacés in Kübeli, bei Gelegenheit auch als Cornet direkt aus dem Apparat, und viele Dienstleistungen mehr sind heute in Bettswil zu haben. Ein Umzug nach Bäretswil wurde vor Jahren erwogen und wieder verworfen. Wie es derzeit scheint, bleibt dem Dörfchen «Beck Meier» auch in fünfter Generation erhalten. Und hoffentlich auch der Tante-Emma-Laden, den Regula Meier so meisterhaft führt.
Bettswiler Schule und Schulgenossenschaft
Vereinzelt wurde in Bäretswil schon im Spätmittelalter Schule gehalten. Familie Graf ab der Gupf wird schon 1470 «die Schueleren» genannt. Für das Kirchdorf können wir annehmen, dass nach der Reformation eine öffentliche Schule eröffnet wurde. 1590 unterhält die Kirchgemeinde auch eine Schule an der Töss mit Schulmeister Benedikt Spörri, der von Amtes wegen während Jahrzehnten Mitglied des Stillstands ist. Als letzte von allen Aussenwachten eröffnet Bettswil an Martini (11. November) 1731 in einem Privathaus unter dem Lehrer Ueli Stutz mit 36 Schülern eine Schule. Die Schulfächer heissen «Läsen, Schriben, Bäten». Als Lesestoff dienen das Neue Testament und der Katechismus. Damit soll zumindest jenes Drittel der Schüler, welche die Lehrziele erreichen, zu starken und denkenden Persönlichkeiten erzogen werden. Der Schulbetrieb der Winterschule dauert bis Mitte März. Einige Kinder, die noch zu Hause gebraucht werden, beginnen die Schule erst kurz vor Weihnachten. Wie alle Aussenwachten-Schulen ist auch Bettswil eine Freischule, d. h. der Lehrer wird von der Kirche mit 2 Mütt Kernen, 2 Malter Haber und 10 Pfund Geld entschädigt. Für die Heizung der Schulstube bringt jedes Kind ein Scheit in die Schule. Nach der geltenden Ordnung wird im Zug des 18. Jahrhunderts das Schul-Obligatorium zunehmend stärker durchgesetzt und die Winterschule bis zum 1. April verlängert.
Gemäss der kantonalen Schulordnung von 1778 wird auch in Bäretswil die Sommerschule während 18 Wochen für obligatorisch erklärt; das 7. und 8. Schuljahr geht an zwei halben Tagen in der Woche in die Repetierschule. 1780 besuchen in Bettswil 27 Kinder die Alltagsschule und 24 Jugendliche die Repetierschule. 1799, zurzeit des allgemeinen Freiheitstaumels, berichtet Schulmeister Jakob Brunner, dass in Bettswil weder die Sommer- noch die Repetierschule besucht werde. Die Notwendigkeit guter Schulbildung ist bei vielen Eltern noch wenig verankert. Pfarrer Köchli war schon 1774 vom Bettswiler Schulbetrieb nicht begeistert. In jenem Jahr erhielt er vom Friesischen Vermächtnis 10 Pfund zugunsten der Bettswiler Schule. Er schreibt: «Da aber der dortige Schulmeister (Jakob Stutz) das Beneficium nicht verdienet, bekam er nur 5 Pfund davon, den Rest bekamen die Schulmeister von Adetswil und im Rüeggenthal zur Aufmunterung und zur Bezeugung meiner Zufriedenheit».
Die Errichtung einer ordentlichen Sommerschule, wie es das Gesetz von 1778 vorsieht, gleicht allerdings, besonders in Bettswil, einer Zangengeburt. 1795 erscheint Caspar Brunner, der Bruder des Schullehrers, im Namen der Bettswiler Hausväter vor dem Stillstand und bittet, man möchte doch auch in Bettswil endlich eine Sommerschule einrichten. Der Stillstand antwortet, das Problem liege in Bettswil selbst. Solange zum Beispiel die Kinder ab dem Allenberg nicht einmal regelmässig die Winterschule besuchten, sei nicht an eine Sommerschule zu denken. Vorderhand sei für Bettswil die Sommerschule von Wappenswil zuständig. Allein diese Schule will von Bettswil niemand besuchen.
Auch der Pfarrer hat es als Leiter des örtlichen Schulbetriebs nicht leicht. Als zum Beispiel 1792 der Bettswiler Lehrer Jakob Stutz den Schulbetrieb endlich quittiert, verkündet er am Sonntag darauf von der Kanzel die Vakanz mit der Bitte, Interessenten möchten sich in Verlauf der kommenden Woche im Pfarrhaus melden. Es zeigt sich niemand. Zwei Wochen später meldet Heinrich Bachmann vom Obissträsschen in Bettswil im Pfarrhaus den Tod eines Knäbleins. Der Pfarrer nutzt die Gelegenheit, Bachmann wegen der hängigen Schulfrage anzusprechen, denn «ich wusste, dass er ein tüchtiges Subject ist und dazu noch eine eigene Stube hatte». Heinrich Bachmann winkt indes wegen der allzu schmalen Lehrer-Entschädigung ab.
Am Bettag schliesslich, 2 Wochen vor Schulbeginn, lässt der Pfarrer durch Caspar Fenner den Bettswiler Hausvätern ausrichten, sie bekämen auf Anfang Oktober einen fremden Schulmeister, wenn sich niemand aus ihren Reihen für das Amt bereiterkläre. Nun endlich spricht Jakob Brunner aus Mittelbettswil vor, der auch eine grosse Stube hat. Nachdem er im Pfarrhaus im Lesen, Schreiben und Beten sein Examen bestanden hat, darf er sich Schulmeister nennen. So gehen die Bettswiler Kinder fortan in jenem Haus zur Schule, das 1911 als Bäckerei und Wirtschaft ein Raub der Flammen wird.
1804 kündigt Brunner seinen Schuldienst, weil die schmale Lehrer-Besoldung ihm nicht einmal die Abnutzung seiner grossen Stube entschädige. Diesmal lässt sich der nicht mehr jugendliche Heinrich Bachmann vom Obissträsschen gewinnen, der aber über gute persönliche Kompetenzen für den Lehrerberuf verfügt.
Am 29. August 1822 beschliessen die Hausväter, im Jahr darauf für die mittlerweile 50 Alltags- und 35 Repetierschüler ein eigenes Schulhäuschen zu errichten. Hans Kaspar Wolfensberger erklärt sich bereit, von seiner Hauswiese gegen den stolzen Preis von 45 Gulden in bar 55,5 m2 seiner Hauswiese abzutreten. Das Schulhaus soll 28 Schuh lang und 22 Schuh breit werden. In die Stube soll ein Kachelofen mit 5×6 Kacheln gestellt werden. Der Bautrog (Güllentrog) schliesslich soll 50-60 Tansen fassen. Der begehrte «Saft» wird zur Düngung der Wiesen jährlich versteigert. An der Schulgemeindeversammlung vom 29. August 1822 erklären die Hausväter einmütig, für den Bau-Akkord von 600 Gulden aufzukommen. Jeder Hausvater mit eigenen Zugtieren will während zweier Tage gratis fahren. Die übrigen wollen fünf Tage «fronen». Leider stellt sich bald heraus, dass das gebaute Haus für die vielen Schüler hoffnungslos zu klein ist.
1824 quittiert «Schulmeister Heinerich», wie er im Dörfchen noch lange genannt wird, altershalber seinen Dienst. Als Nachfolger wählen die Bettswiler Mannen seinen Sohn Johannes. 1832 wird in Zürich von der radikalen Regierung ein neues Schulgesetz erlassen. Der Württemberger Thomas Scherr wird Leiter des liberalen Lehrerseminars in Küsnacht. Alle bisherigen Schulmeister werden zu Schulhaltern degradiert. Nur wer in Zürich einen Auffrischungskurs bestanden hat, darf sich wieder Schulmeister nennen. Am 25. Oktober 1834 überreicht der Erziehungsrat Johannes Bachmann das Fähigkeitszeugnis als Lehrperson, und dieser darf sich nun stolz als erster moderner Lehrer im Dorf Bettswil bezeichnen. 1860 beträgt sein Jahreslohn Fr 100.- vom Staat, Fr 100.- von der Bettswiler Schulgemeinde sowie Fr 117.60 von den Elternbeiträgen an die Schule. An den Lohn von der Schulgemeinde muss er sich anrechnen lassen: Fr 32.- für die Lehrerwohnung, Fr 12.80 für die Heizung und Fr 8.- für den Pflanzblätz neben dem Schulhaus.
Als Johannes Bachmann 1875 nach 51 Dienstjahren seine Stelle quittiert, fällt es der Wahlkommission schwer, einen neuen Lehrer für die Achtklassenschule in unserem abgelegenen Bergdorf zu finden. Die Schulgemeindeversammlung beschliesst sogar, jedem Lehrer, der sich für mindestens drei Jahre verpflichte, eine Gemeindezulage von jährlich Fr 100.- zu gewähren und sich beim Kanton für eine ebenso hohe Bergzulage einzusetzen. Doch erst nach fünf Jahren gelingt es, wieder einen definitiven Schulmeister für Bettswil zu finden. Während der kommenden 80 Jahre geben die folgenden Lehrer ihr Bestes für die Schule Bettswil:
- 1880-1889 Robert Pfenninger, zuvor Schulmeister auf dem Gfell
- 1892-1924 Heinrich Kägi aus dem Lenzen, berühmter Botaniker
- 1924-1928 Otto Schaufelberger, Mundart-Dichter
- 1928-1942 Albert Graf
- 1943-1953 Walter Schenkel
- 1953-1960 Jörg Albrecht
Schulgemeinde pocht auf Autonomie
Auffallend ist, wie sehr die Bettswiler Schulgenossenschaft im 19. Jahrhundert ihre Autonomie verteidigt. Das Schulhaus ist zugleich «Gemeindehaus», in dem die «Gemeindsversammlungen» abgehalten werden. Die Schulgemeindeversammlung hat das Recht, Schulsteuern zu erheben, die abgestuft nach dem Vermögen der Mitglieder angesetzt und eingezogen werden. Eine Schulkommission betreibt im Auftrag der Schulgemeindeversammlung die Tagesgeschäfte. Bei Lehrerwahlen behält die Versammlung der Hausväter das letzte Wort. Die versammelten Hausväter beschliessen auch die Sanierung der örtlichen Strassen und Brücken, die weitgehend im Frondienst unterhalten werden. Auch die Belange der Feuerwehr – 3 Feuerweiher, Windlicht, Feuerhaken, Flöchnersäcke – unterstehen der «Gemeinde-Versammlung». Diese besetzt auch die Ämter des Feuerhauptmanns, der Windlichtträger, der Feuerläufer, der Feuerwache usw. Wie Wappenswil ersucht auch Bettswil die Regierung, eine eigenständige Zivilgemeinde zu werden – ohne Erfolg.
Die Bettswiler Geschichte zeigt das Selbstverständnis einer Aussenwacht, das sich seit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert herausgebildet hat. Das Kirchdorf ist zuständig für Kirche, Friedof und (bescheidene) Gemeindesteuern. Ansonsten regelt man die Tagesgeschäfte vor Ort gerne selbst. Man lässt sich lieber nicht von aussen dreinreden. Die Bezirksschulpflege muss den Bettswiler Hausvätern wegen des viel zu kleinen Schulhäuschens wiederholt «Massnahmen» androhen und sogar zweimal eine Busse von Fr 10.- und Fr 15.- verhängen, bis die 89 «Aktivbürger» mit einem Gesamtkapital von Fr 90’000.- sich entschliessen, Zimmermann Wild ab der Zelg zu beauftragen im Sommer 1859 ein neues Schulhaus zu bauen, was schliesslich für die Schulgemeinde Fr. 9’959.40, abzüglich Fr. 2’800.- Staatsbeitrag, kostet. Holz, Steine und Steinmetzarbeit stellt die Gemeinde dem Zimmermann zur Verfügung.
Wie stark und zäh dieses Autonomie-Empfinden der Aussenwachten ist, zeigt sich darin, dass die sechs Schulgemeinden erst 1927 aufgehoben und der zentralen Gemeindeschulpflege im Kirchdorf Bäretswil unterstellt werden. Vor diesem Hintergrund werden auch die heftigen Reaktionen verständlich, die in noch den 1950ern ausgelöst werden, als Bettswil sein Schulhaus zugunsten des Maiwinkels verliert. Viele empfinden diesen Verlust damals als Deklassierung der ganzen Schulwacht und als Zerstörung einer gewachsenen Identität. Die Bettswiler-Tage von 1959 bis 1988 nach dem Vorbild der Strahlegger-Tage sind als Reaktion auf diesen Prozess zu verstehen.
Wer diese Traditionen von oben herab belächelt, beweist, dass er auch die Schweiz in ihrem Wesen nicht versteht. Denn der Aufbau der Gesellschaft von unten nach oben ist nicht nur eine Bettswiler Eigenart. Er entspricht dem grundsätzlichen Aufbau der Schweiz. Anders als die europäischen Königreiche, die von oben nach unten regiert werden, ist unser Land von unten nach oben gewachsen und entsprechend ausgerichtet:
Weiler und Quartiere –> Gemeinden –> Bezirke –> Kantone –> Bund.
Demgemäss regieren Bund, Kantone und Gemeinden mit Vernehmlassungen vor sensiblen Entscheidungen, um die Bürger mitzunehmen. Das kleine Beispiel von Bettswil illustriert diese Zusammenhänge aufs Beste.
A. Sierszyn, 29.12.2021
Literatur
1 - Armin Sierszyn: 66 Familiennamen seit 700 Jahren. Zwischen Bachtel, Stoffel und Schnebelhorn. Eigenverlag Dr. A. Sierszyn, Bäretswil 1996
Einzelnachweise
[1]A. Sierszyn, J. Albrecht: Bäretswil. Ein Heimatbuch. Hrsg. Pol. Gem. Bäretswil 2015, Inhaltsverz.