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Meinrad Suter, Schriftsetzerlehre bei Druckerei Brunner
Meinrad Suter, Schriftsetzerlehre bei Druckerei Brunner

ca 1950 / Meinrad SuterKoller [PBA.DOK1.321]

Die Berufswahl wurde aktuell. Der Wunsch ging Richtung Druckgewerbe. Man wusste damals nicht so recht, ob die Wirtschaft prosperiere oder ob wieder eine Situation wie in den 30er Jahren bevorstehe. Deshalb war die Lehrstellensuche nicht leicht. Das Vorstellungsgespräch in einer damals berühmten Druckerei in Meilen verlief gut, allerdings sollte der Lehrling sich erst ein Jahr als Hilfsarbeiter verpflichten müssen. Das hätte bis zum Abschluss fünf lange Jahre bedeutet.
Glücklicherweise fand sich eine Lehrstelle als Schriftsetzer im Zürcher Oberland. Nach erfolgreicher Eignungsprüfung wurde der Lehrvertrag ausgefertigt. Der Wochenlohn betrug fünf Franken. Kosten entstanden durchs Auswärtsessen, Fahrkarten für Bus/Bahn an den Werkplatz und die Schule in Zürich. Um diese Kosten abzudecken, musste mein jüngerer Bruder Josef in einer Fabrik als Hilfskraft arbeiten, als er die Lehre antrat tat dies der jüngste Bruder Walter ebenso. Eine Ersparnis war ferner, dass Meiri statt mit Bus/Bahn mit dem Fahrrad zur Arbeitsstätte fuhr, das waren 21 km und 208 m Höhendifferenz. Der Lehrmeister war ein strenger aber gerechter Chef, er wies das Dienstmädchen an, dem Lehrling um 9 Uhr einen Znüni zu servieren, denn seit dem Morgenessen seien immerhin mehr als 3 Stunden vergangen. Der Stift revanchierte sich, indem er auch Arbeiten verrichtete, die nicht im Lehrplan vorgesehen waren.
Nach zwei Jahren war eine Zwischenprüfung abzulegen, nach vier Jahren die Schlussprüfung. Darnach blieb Meiri noch ein Jahr als Geselle im Lehrbetrieb. Das Berufsbildungs-Büro in Zürich bestätigte zwar die erfolgreiche Prüfung als Setzer, nur der Gilde der Schwarzkünstler genügt dieses Papier nicht. Der Mann muss gegautscht werden, damit er als Geselle anerkannt werden kann und alle Berufskollegen mit „du“ ansprechen darf. Auf die Wassertauf folgt die Feier, bei welcher der erste Lohn geopfert werden soll. Der Gautschbrief muss sorgfältig gehütet werden und ist bei Antritt einer neuen Stelle den Kollegen vorzuweisen. Falls nicht möglich, wird das Prozedere wiederholt und Gautschmeister, Packer und Zeugen haben Anspruch auf die traditionelle Verköstigung!
Die Gautschete wurde auf Fronleichnam geplant, da damals in den Kantonen St. Gallen und Schwyz dieser Tag arbeitsfrei war und die meisten Berufskollegen aus diesen Gegenden stammten. Sie marschierten mit langen weissen Mänteln bekleidet in Zweierkolonne durchs Dorf, den Gäutschling stets observierend. Vorne ein Trompeter, der so etwas wie ein Totenmarsch blies, als akustisches Zeichen der zu beerdigenden Lehrzeit. Innert kürzester Zeit versammelten sich Zuschauer, die sich für die fremde Zeremonie interessierten. Auch der Dorfpolizist war aufgescheucht worden! Der Gäutschling wurde von den Packern in den Brunnen geworfen, dreimal untergetaucht, das „Opfer“ litt Qualen, denn es war bitter kalt. Der Gautschmeister sprach zur versammelten Menge und zu den Aktiven den traditionellen Gautschspruch, worauf applaudiert wurde. Die Frau des Lehrmeisters Rös Brunner-Fehr hatte ein solches Erbarmen mit dem Ex-Stift, raste nach Hause, braute einen Topf Tee, den sie mit Rum anreicherte um einer Erkältung zuvorzukommen, dass nach Genuss des Heiltrankes der Begünstigte leichte Erinnerungslücken aufwies. Unter den Zuschauern war auch eine junge hübsche Dame, die später als Gattin den Setzer Meiri durchs Leben begleiten sollte.

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