Kirchenbau 1825

3 Kirchen – 3 Epochen

Frühgotischer Taufstein aus der Kirche von 1504. Nun in der Sakristei der neuen Kirche

Am heutigen Standort der reformierten Kirche wurden schon zwei frühere Kirchen gebaut.

  • Die erste Kirche von 1275 wurde im auslaufenden Hochmittelalter gebaut, der Zeit der gotischen Kathedralen. Nach dem Tod von Kaiser Friedrich II 1250 und der kaiserlosen Zeit begann 1291 mit Rudolf I die Zeit der Habsburger und damit der Eidgenossenschaft.
  • An derselben Stelle wurde 1502/04 die spätmittelalterliche Kirche gebaut, der Zeit von «Himmel, Hölle und Fegfeuer», wie Peter Jezler darlegt[1] Im Baufieber am Ende des Mittelalters bauten auch Pfäffikon, Egg, Bubikon, Dürnten, Wald und Turbenthal neue Kirchen.

Die Dokumentation über den Bau dieser beiden Kirchen ist spärlich. Mit dem Brand des Bäretswiler Pfarrhauses 1572 wurde das kostbare Archiv vollständig zerstört.

Auch um 1825 war Bäretswil nicht die einzige Gemeinde, die an einen Kirchenbau dachte. Das Oberland hatte sich von den revolutionären Ereignissen rund um Napoleon und der Hungersnot von 1817 erholt. Obwohl Bauma seit 1651 nicht mehr zur Kirchgemeinde Bäretswil gehörte, konnte die Kirche die wachsende Bevölkerung kaum mehr fassen. Egg und Gossau hatten eben neue Kirchen gebaut und mit Pfarrer Waser hatte Bäretswil einen ungekrönten König, der die Fähigkeiten, den Willen und die Durchsetzungskraft für einen Neubau hatte.

Im Gegensatz zu den beiden ersten Kirchenbauten – der Buchdruck war noch nicht im Zürcher Oberland angekommen – ist der Bau von 1825 gut dokumentiert:

  • Waser selbst hielt in seinen Unterlagen schriftlich alles bis auf den Nagel minutiös fest.
  • 1829 publizierte J. R. Waser mit dem befreundeten Pfarrer J. L. Schweizer von Wila zu Handen der «Ascetischen Gesellschaft» von Zürich eine gut100-seitige Schrift. Waser selbst beschreibt darin die notwendigen organisatorischen und psychologischen Aspekte des Baues, während Schweizer Beschreibungen und Ansichten des Aussenstehenden beisteuert.[2]
  • 1870 veröffentlicht Julius Studer, der Pfarrhelfer von Pfr. Waser, seine Chronik «Die Geschichte von Bäretswil», in dem er ein Kapitel der «neuen Kirche» widmet. Es deckt sich weitgehend mit den Aufzeichnungen von Pfr. Schweizer von 1829.[3]
  • 1927 publiziert Kurt Spörri zum 100-Jahr Jubiläum der Kirchweihe eine Denkschrift [4].
  • Pfarrer und Historiker Armin Sierszyn publizierte mehrere Schriften, in denen der Kirchenbau dokumentiert ist, so 1983 in «Unser Bäretswil»[5] und 2015 in «Bäretswil. Ein Heimatbuch»[6].

Der Kirchturm erinnert heute noch an alle 3 Kirchen: Die untere Hälfte stammt noch von der ersten Kirche von 1275, die obere Hälfte wurde für die Kirche von 1502/4 neu gebaut. Die Turmuhr, ursprünglich von 1650, hat ihre eigene Geschichte.

Kirchenbau unter Waser – eine Lektion in Projektmanagement

Pfarrer Waser ging die Sache gründlich an und überliess nichts dem Zufall.

Fünf Jahre zuvor, 1820, ereignete sich in Gossau ein schreckliches Unglück. Ihr Kirchenneubau hatte eben die Aufrichte erreicht. Zu diesem Festtag strömte die Einwohner zu Hunderten zum Kirchenbau und alle wollten auf den Dachboden, der zu diesem Anlass provisorisch eingelegt wurde. Unter gewaltigem Krachen stürzte der Dachboden ein. 25 Tote und fast 300 teils Schwerverletzte sind zu beklagen. Die Zürcher Regierung hilft nur unter der Bedingung, dass die Bauleitung sofort fachkundigen Leuten übertragen werde.[7] Geissenhof aus dem Allgäu wurde mit der Leitung beauftragt.

Pfarrer Waser empfiehlt folgendes Vorgehen:

  • Man suche in einer besondern Versammlung des Stillstands und des Gemeinderats durch ganz einfache und unvorgreifende Darlegung der Gründe für die Notwendigkeit des Baues anfänglich es bloss dahin zu bringen, dass der Beschluss gefasst wird: man wolle nähere Nachfrage halten über die Beschaffenheit solcher Bauten, die Kosten derselben, und überhaupt über Alles, was beim Beginn eines solchen Unternehmens zu Voraus zu wissen nötig ist; das koste ja nichts, und setze doch in den Stand, auch wenn nichts aus dem Bau würde, desto gründlicher über das Für und Wider zu urteilen; man wolle desshalb zwei bis drei Beamte mit dieser Nachfrage beauftragen, um seiner Zeit, je nachdem ihr Referat ausfalle, der ganzen Gemeinde davon Kenntnis zu geben.
    („an wähle dazu nicht bloss die angesehensten Beamten, sondern vorzüglich die Häupter allfälliger Gegenparteien. Man schicke sie miteinander an Orte, wo vor Kurzem neue Kirchen gebaut wurden. So entsteht leicht Vereinigung, und was eben so wichtig ist, es wird für die Abgesandten eine Art Ehrensache, nicht vergebliche Schritte für Etwas getan zu haben. Sie betreiben darum nachher das Baugeschäft desto eifriger)
    Durch diesen Schritt, dessen günstigen Erfolges man bei einiger Vorsicht und kluger Behandlung beinahe immer sicher sein darf, ist unendlich mehr gewonnen, als wenn man etwa diktatorisch und höchstens im Konsens mit einigen baulustigen Matadoren gerade auf den Beschluss antragen wollte: dass, was und wie sollte gebaut werden. Dadurch würden die Gemeindsbehörden wider den Kopf gestossen, die nicht zu Rate gezogenen Beamten fühlten sich hintangesetzt, und würden schon darum gegen etwas stimmen, das sie unter andern Umständen selbst beliebt hätten...“
    Pfarrer Waser sandte anfangs 1825 eine Delegation nach Egg und Gossau, die eben ihre neue Kirche vollendet hatten. Bewusst wählte er für diese Delegation auch Personen, die einem Neubau gegenüber kritisch eingestellt waren. Die Stimmung in Bäretswil war durchmischt. Eine Frau meinte, sie hätte «lieber eine neue Chappe als eine neue Chirche».
    Am 10. Feb. 1825 legte er dem vereinigten Stillstand und Gemeinderat die Notwendigkeit des Bauens vor, ohne dabei das Was? und Wie? zur Sprache zu bringen.
  • Ist einmal auf dem bezeichneten Wege das Bauprojekt bei der Vorsteherschaft ausgereift, so handelt es sich darum, dasselbe der gesamten Kirchgemeinde vorzutragen. Bei Abhaltung solcher Gemeindsversammlungen, welche dann Alles entscheiden, scheinen für den Geschäftsführer folgende Hauptregeln der Berücksichtigung wert zu sein:
    • Er bilde sich vor Allem aus einen sichern Rücken an der Vorsteherschaft, und trage Alles in ihrem Namen vor. Damit ist schon Vieles gewonnen. Kein Beamter darf mehr öffentlich widersprechen…
    • Er suche dann durch eine gut motivierte und lichtvolle Rede, worin die Gründe für und wider den Bau in historischer, ökonomischer und religiös-moralischer Beziehung entwickelt werden, die Gemeindebürger wo möglich dahin zu vereinen, dass in der Gemeindsversammlung selbst keine weitläufigen Diskussionen von ihrer Seite mehr nötig sind, sondern es sich bloss noch um den Entscheid der einfachen Frage handelt: ob man bauen wolle oder nicht, und im Fall das Erstere entschieden würde, die Gemeinde beauftragt werden könnte, über die näheren Bedingnisse und das Wie des Bauens durch Ausschüsse oder sogenannte Commissairs sich auszusprechen, die sie hernach ganz nach Gutdünken aus ihrer Mitte zu wählen hätte.
    • Er drücke sich, wenn’s um’s Entscheiden zu tun ist, so unzweideutig und kurz als immer möglich aus.
    • Er lasse endlich für jede Hauptfrage besonders abstimmen, und vergesse sich nur darin nicht, dass er etwa zuerst die negative und erst nachher die positive aufwerfe.
1900. Der Eingang West ist noch ohne Vordach
1928. Nach der Renovation zur 100-Jahr Feier

In der entscheidenden Abstimmung vom 26. Juni 1825 wurde zuerst nur darüber entschieden, ob überhaupt gebaut werden soll. Platzmangel und Baufälligkeit der alten Kirche waren offensichtlich und die Gemeinde beschloss mit 173 zu 120 Stimmen, dass gebaut werden solle. Die Frage nach Um- oder Neubau blieb damit offen.[8] Anschliessend wurde beschlossen, dass die Gemeinde-Sektionen Mitglieder für eine inappellable Baukommission wählen, dh, eine Kommission, deren Beschlüsse nicht angefochten werden konnten!!! Schliesslich wurden Stillstand und Gemeinderat aufgefordert, offen zu bestätigen, dass die Gemeindeversammlung korrekt abgelaufen sei.

Am 18. Juli 1825 trat dann die 26 Mitglieder der Baukommission zusammen, um einen Präsidenten zu wählen. Obwohl Waser erst abwinkte, liess er sich schliesslich doch bitten, das Präsidium zu übernehmen. In einer der ersten Sitzungen entschied sich die Baukommission – nicht ganz unerwartet – für einen Neubau. Durch das Unglück des Einsturzes in Gossau gewarnt, wagte man es doch nicht, den Bau ohne Sachverständige anzugehen. So gab sich die Baukommission den Titel «Baumeister» und engagierte den «Stuckateur und königlichen Baumeister» Geissenhof (sic!) aus Pfronten im Allgäu (Bayern), der schon nach dem Debakel in Gossau die Kirche erfolgreich vollendet hatte, nun als «Oberaufseher» für den Kirchenbau in Bäretswil.[9]

Wichtig war für Waser, dass in der Baukommission keine Fachgruppen gebildet wurden, sondern diese immer als ganzes zusammentraf und entschied. Des weitern arbeiteten alle Kommissionsmitglieder unentgeltlich, was Waser damit begründete, dass sie damit Achtung, Zutrauen und Einfluss gewinnen würden. Und dann beschreibt er die Anforderungsprofile für den Präses (sich selbst!), den Schreiber, Cassameister, Rottmeister (leitet die Frondienste der Handarbeiter) und Fuhrmeister.

Der Kirchenbau – ein Gemeinschaftswerk der Gemeinde

Ein Register aller arbeitsfähigen Bewohner wurde erstellt. Eine Altersgrenze gab es keine. Nur «bresthafte und bettlägerige Leute» erhielten eine Dispens. Je nach Vermögen hatten die Einwohner 1 bis 3 Tage pro Woche (natürlich unentgeltlichen!) Frondienst zu leisten. Die Einwohner wurden aufgefordert, «freiwillig» den «Wochenschilling» zu bezahlen, womöglich auch für die Kinder. Dabei wurde über jeden Beitrag Buch geführt und es wurde darauf geachtet, dass wirklich nur die, die keinen Heller besassen, davon ausgenommen waren. Bei Baubeginn war dies die einzige Einnahmequelle überhaupt. Schon in der ersten Sitzung entschied sich die Baukommission für einen Neubau und bereits ein Monat später, am 30. Juli 1825, begann man mit der Erstellung des Fundaments, das man noch vor Einbruch des Winters fertiggestellt haben wollte. Als Maurermeister wurde Johann Pfister von Ferrach und als Zimmermeister Heinrich Strehler von Wald eingestellt.

Der letzte Gottesdienst in der alten Kirche fand an Ostern 1826 statt. Dann begann der Abbruch und die Gottesdienste wurden im Freien oder bei kalter Witterung in der Bauhütte durchgeführt.

200 Jahre später: Kirchenrenovation, Juni 2025

Kirchweih am 30. September 1827

Bereits gut 2 Jahre nach Baubeginn, am 30. September 1827, konnte die Kirche eingeweiht werden – für Bäretswil ein riesiger Freudentag. Höhepunkte waren die Festpredigt von Pfarrer Waser und ein Einweihungslied, komponiert eigens für dieses Fest vom Sängervater Nägeli und von vier Chören der Gemeinde gemeinsam vorgetragen[10].

Die Versteigerung der Kirchenstühle trug so viel ein, dass das Geld und das überschüssige Baumaterial reichten, um damit noch den «Ochsen» als Gemeindehaus, Metzgerei und künftiges Wirtshaus zu bauen.

Es wurde beschlossen, die Kirchweih (Chilbi) jeweils am letzten Sonntag des Septembers zu feiern.

Pius Bischofberger, Juni 2025

Einzelnachweise

[1]Peter Jezler: Der spätgotische Kirchenbau in der Zürcher Landschaft.. 1988, Inhaltsverzeichnis
[2]J. R. Waser, L. J. Schweizer: Unmassgebliche Ansichten über den Kirchenbau Bäretschweil. Friedrich Schulthess, Zürich 1829, Digitalisat
[3]Julius Studer: Die Geschichte der Kirchgemeinde Bäretswil. Zürich 1870, Digitalisat S.172ff
[4]Kurt Spörri: Denkschrift für das 100-jährige Jubiläum der Kirche Bäretswil. Wetzikon und Rüti 1927, Digitalisat
[5]Armin Sierszyn: Unser Bäretswil. Aus der Geschichte seiner Fluren, Höfe und Dörfer.. Eigenverlag, Bäretswil 1983, Inhaltsverzeichnis (S.121)
[6]Armin Sierszyn, Jörg Albrecht: Bäretswil. Ein Heimatbuch. Hrsg. von der politischen Gemeinde Bäretswil. Buchverlag Zürich Oberland, Wetzikon. ISBN 97 838 5981 2734. 2015, Inhaltsverzeichnis (S.138)
[7]Patrizia Legnini: Zürcher Oberländer. 22.06.2020, Einsturz des Kirchen-Dachbodens in Gossau 1820
[8]J. R. Waser, L. J. Schweizer: Unmassgebliche Ansichten über den Kirchenbau Bäretschweil. Friedrich Schulthess, Zürich 1829, Digitalisat S.81ff
[9]Anm: Das Verhältnis zwischen Waser und Geissenhof (in der Literatur von Schweizer und Studer wird er fälschlicherweise wiederholt «Geissenhofer» benannt) ist bemerkenswert. Gemäss Michael D. Schmid wurde die Kirche Bäretswil komplett von Geissenhof konzipiert. Trotzdem wird er von Waser nie erwähnt und nur als «Oberaufseher» betitelt. Nach Vollendung des Baus reist Geissenhof kurz vor der Einweihung ins Allgäu zurück. , (vgl. Wiki Reformierte Kirche Gossau / Bäretswil, Abruf 26. Juni 2025
[10]Anm: Von Adetswil ist das Protokollbuch des Männerchors noch vorhanden, der 1827, wohl speziell für dieses Fest, gegründet wurde. Ähnlich dürften auch für das Dorf und weitete Aussenwachten Chöre für diesen Anlass gegründet worden sein. Der «Männerchor Bäretswil» mit Sängern aus der ganzen Gemeinde wurde von Waser 1835 gegründet. , Männerchor

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